Wie rau ihre Hände in den letzten Jahren geworden waren. Durch die Arbeit in der Greißlerei meiner Familie. Die Greißlerei, die uns zwar alle satt, aber niemanden glücklich machte. Sie erfüllte die Tage meiner Mutter, aber nicht ihre Seele, die vielmehr einem Nest voll kleiner Spatzen glich, die unentwegt lautstark nach Futter riefen.

Wie zart ihre Hände waren, wenn sie darin einen Pinsel hielt und mit ihm so feine Linien in die Blüten einer Rose zauberte, dass die Zartheit förmlich von ihren Fingerkuppen in die Pinselspitze floss, um sich dann in einer Knospe zu ergießen, so sanft wie eine Schneeflocke auf Neuschnee landet. So, dass du nachher nicht mehr mit Sicherheit sagen konntest, ob diese Rose nicht schon immer auf dieser Leinwand geblüht hatte und meine Mutter sie nur durch ihre bloße Berührung für alle Augen sichtbar gemacht hatte. Noch nach vielen Jahren übe ich diesen zarten Pinselstrich meiner Mutter, aber meine Blumen blühen niemals so fein wie ihre.

Wie hart ihre Hände wurden, wenn ihre Stimme sich vor Wut überschlug, mein Vater vor Verlegenheit falsch lachte und Türen zwischen ihnen knallten, bevor noch mehr Zorn seinen Weg nach draußen fand. Dann bebte mein Kinderherz vor Angst und ich wünschte mich weit weg an einen sicheren Ort.

Wie warm ihre Hände waren, wenn sie meine kleinen Hände umschlossen, wenn wir Hand in Hand spazieren gingen. Im Winter trug sie hellbraune dicke Lederfäustlinge, warm gepolstert mit Lammfell und ich konnte ihre Wärme förmlich durch ihre und meine Fäustlinge spüren, so fest hielt sie mich und so geborgen. Nur ich und sie inmitten einer Schneelandschaft, solche Momente gab es in unserem Haus mit all seiner betrieblichen Geschäftigkeit und dem Rest unserer fünfköpfigen Familie selten.

Meine Hände waren schmal und meine Finger lang, „Richtige Klavierspielerhände hast du“, sagte meinte Mama stolz, wenn ich Seite an Seite mit ihr auf unserem dunkelbraunen Stutzflügel spielte. Früher sahen Mutters Hände wohl genauso aus, aber jetzt sanken sie schwer und rissig von der Arbeit auf die Tasten des Klaviers.

Abends, wenn ich nicht schlafen konnte, hielt sie oft stundenlang meine Hand. Sie saß dann immer auf einem Stuhl neben meinem Kinderbett und blieb, bis mir die Augen zufielen.

Wie schmal ihre Hände wurden, als der Krebs sich in ihrem Körper eingenistet hatte, um mehr und mehr von ihr zu verschlucken. Zuerst verließ die Schwere ihren Körper, dann die Lebendigkeit und schließlich verschwand sie ganz.

Zurück blieben ihre unveröffentlichten Geschichten, kistenweise Bücher, Kleider, an denen ihr Geruch noch lange haftete, als sie längst gegangen war, und natürlich ihre Zeichnungen.

Ich wünschte, sie hätte einmal ihre Hände gemalt. Die so vieles erschaffen und so sehr geliebt hatten, die rau und zart, hart und warm und einfach magisch waren.

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